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Von Lungern nach Oberried
Früh morgens, als ich die Kirche von Lungern besuche, war es kalt und schattig. Die imposante neugotische Herz-Jesu Kirche soll der Basilika in Lourdes ähneln. Erstere wurde Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Hügel erbaut, nachdem der Vorgängerbau durch ein starkes Gewitter mit Felssturz zerstört wurde. In der Kirche war es so düster, dass ich den Pilgerstempel regelrecht ertasten musste. Aber der Ausblick vom Kirchenvorplatz war wunderschön. Während der See noch im tiefen Schatten lag, leuchteten die Bergspitzen schon in der Morgensonne. Das wurde schon wieder ein schöner Tag. Ich konnte mein Wetterglück kaum fassen!
Aber nun wurde es Zeit aufzubrechen. Schnell ging ich zurück zum Gästehaus, packte meinen Rucksack und begann mit der Wanderung. Die bevorstehende Etappe sollte über den Brünigpass (1008 m) an den Brienzer See zu meinem Tagesziel Oberried führen, wo ich einen Ruhetag einlegen wollte.
Vor dem Aufstieg auf den Pass fürchtete ich mich nicht. Meine Pilgerwanderungen auf das Hörnli und das Haggenegg hatten mir gezeigt, dass ich selbst längere Anstiege schaffen konnte, wenn ich langsam ging. Und von Lungern auf den Brünigpass musste ich nur noch ca. 300 Höhenmeter zurücklegen. Sorge bereitete mir aber die Strecke vom Pass mit einem Abstieg von ebenfalls 300 Hm nach Brienzwiler, die der Pilgerführer als teilweise steil beschrieb. Mein Orthopäde hatte mir geraten, längeres Bergabgehen zu vermeiden und daran wollte ich mich halten. Auf starke Knieschmerzen wie nach dem Camino im August konnte ich verzichten.
Natürlich hatte ich schon nach Möglickeiten gesucht, die Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Es gab sogar eine Bahnstation in der Nähe der Passhöhe (einfach toll diese Schweiz!). Allerdings bog der Zug nach Meiringen ab, das nicht in meiner Richtung lag. Konnte ich dort umsteigen oder musste ich zehn zusätzliche Kilometer laufen, um zurück zum Jakobsweg zu gelangen ? Ich beschloss, die Entscheidung zu vertagen, bis ich auf dem Brünigpass angekommen war.
Hinter einer Fabrik ging es hinauf in den Wald. Auf dem steinigen Pfad war ich alleine unterwegs. Der alte Brünig-Saumweg weist eine Steintreppe und eine teilweise erhaltene Hohlwegstruktur mit alten Pflastersteine auf. Angeblich sollen dort schon die alten Römer unterwegs gewesen sein, auf jeden Fall diente der Weg, nicht nur den Jakobspilgern, seit Jahrhunderten als Übergang zwischen dem Kanton Obwalden und dem Berner Oberland.
Im Schatten lief es sich recht angenehm. Allerdings musste man gut aufpassen, dass man auf den vom Morgentau feuchten Steinen nicht ausrutschte. Neben der Strecke befand sich auch ein Kreuzweg. Einmal als ich zu schnell gegangen war, blieb ich schwer atmend stehen. Fühlte mich dem Hergott (allerdings nur in körperlicher Hinsicht) nahe, konnte aber nach einer kurzen Trinkpause weitergehen.


Schließlich kam ich in ein schönes Hochtal. Endlich Sonne ! Dem Pilgerführer habe ich es zu verdanken, dass ich dort die Abzweigung nach rechts über die Wiesen nicht verpasste. Das Schild war ziemlich zugewachsen und leicht geblendet vom Gegenlicht hätte ich es fast übersehen.
Am Ende der Wiese, bevor es wieder in den schattigen Wald ging, legte ich eine Erholungs- und Snackpause ein.
Nach der kurzen Passage durch den Wald mündete der Camino direkt auf die Brünigpassstraße. Ein deutlich markierter breiter Fußgängerweg verlief neben dem stetig fließenden Verkehr. Normalerweise hätte ich diese kurze Strecke so schnell wie möglich zurückgelegt, aber ausgerechnet an dieser Stelle überholte mich ein Mann, der mich fragte, ob ich auf dem Jakobsweg pilgerte.
Wir rückten soweit wie möglich an den Straßenrand, während er mir von seiner Pilgerwanderung von seinem Heimatort Giswil nach Santiago erzählte, die er mit Mitte 40 zurückgelegt hatte. Er wollte sich das Rauchen abgewöhnen und war einfach losgelaufen. Dem Camino war er erst ab Genf gefolgt. Am Anfang hatte er alles falsch gemacht, war z.B. mit einem viel zu schweren Rucksack gewandert (an dieser Stelle warf er einen kritischen Blick auf mein Gepäck), aber im Laufe der Zeit brauchte er immer weniger. Er wurde fitter und konnte längere Strecken laufen. Zum Schluss in Spanien sei er „geflogen“, bis zu 80 km pro Tag (??). Sein Gottvertrauen habe stetig zugenommen. Für alle Probleme fand sich eine Lösung, z.B. immer eine Übernachtungsmöglichkeit, obwohl er nie etwas vorgebucht hatte.
Der Expilger trank noch einen Kaffee mit mir, als ich zum Suppenessen im Gasthaus hinter der Passhöhe einkehrte. Ich erzählte ihm, dass ich den Abstieg nach Brienzwiler meiden wollte. Er hielt die Bahnfahrt nach Meiringen auch nicht für sinnvoll, beratschlagte sich mit der Kellnerin und riet mir dann, den Bus nach Brienzwiler zu nehmen, der am Bahnhof Brünig abfuhr. Ich bedankte mich herzlich für den guten Tipp, als wir uns verabschiedeten.

Nach dem Essen mit Blick auf das schöne Bergpanorama, das ich mir allerdings großartiger vorgestellt hatte, ging ich zum nahegelegenen Bahnhof zurück und fuhr nach wenigen Minuten mit dem Bus nach Brienzwiler. Wunderbar, ich hatte mir einen anstrengenden Abstieg und eine Wanderung von 1,5 Stunden gespart. Da hatte ich mir eine Menge Caminotalk angehört, der auf mich nicht zutraf, weil ich viel älter als Vierzig war. Aber das mit dem Gottvertrauen, oder in meinem Fall eher Urvertrauen, würde ich mir merken. Den Jakobsweg zu planen ist wichtig, aber Probleme lösen sich oft vor Ort. „Camino provides!“
Vorbei an schönen Holzhäusern setzte ich den Weg nach Brienz fort. Die Strecke verlief eben oder angenehm bergab und immer wieder zeigten sich herrliche Landschaftseindrücke. Schon von weitem konnte ich die grün-blaue Wasserfläche des Brienzer Sees sehen.
Panoramafoto bitte anklicken !
In Brienz ging es an der herrlichen Seepromenade mit wunderschönen Ausblicken entlang. Schöne alte Holzhäuser gab es und viele Cafes, von denen ich natürlich eines aufsuchte.
Wenn ich den Pilgerführer richtig studiert hätte, wäre mir aufgegangen, dass mir noch eine mehrstündige Wanderung mit Höhenunterschieden von mehr als 250 Metern bevorstand. Der Weg nach Oberried verlief nämlich nicht am Ufer, sondern eigentlich schöner und ruhiger auf dem Panoramaweg in der Höhe. Prächtige Panoramen gab es in der Tat einige zu sehen, auch wenn im dichten Wald mancher Ausblick zugewachsen war, aber es ging stetig bergauf. Auch wenn die Steigung nicht dramatisch war, zog sie sich endlos lange. Nach einer Hängebrücke, die den Unterweidligraben quert und die bei jedem Schritt laut quieschte, sollte der Camino sanft bergab nach Oberried führen. Möglicherweise hatte ich die falsche Abzweigung genommen. Auf einem sehr steilen und schotterigen Stück, das glücklicherweise nicht lang war, musste ich zu guter Letzt noch meine Wanderstöcke auspacken.
Schließlich kam ich, wie immer ziemlich geschafft, aber voller wunderschöner Landschaftseindrücke in Oberried an, wo ich zwei Nächte bleiben würde. Über den Ausflug nach Interlaken an meinem Ruhetag werde ich im nächsten Beitrag über die folgende Etappe nach Merligen berichten.
Fazit:
18 km, 660 m Aufstieg, 550 m Abstieg, 5,45 Stunden reine Wanderzeit.
Sehr schöne, mittelschwere Etappe. Zunächst auf dem stimmungsvollen Brünig Saumpfad, langer aber gut machbarer Aufstieg durch den Wald, ab Brienzwiler traumhaft schöne Landschaftspanoramen, besonders am Brienzer See. Die letzte Strecke über den Panoramaweg nach Oberried ist nicht schwierig aber länger als gedacht. Zur Belohnung gibt es mehrere sehr schöne Ausblicke über den türkisfarbenen See und in die Berge.
Wenn man die gesamte Strecke geht, ist die mit 7 Stunden angesetzte Wanderung als schwer einzustufen. Am von mir ausgelassenen Aussichtspunkt Tschuggen (auf 1043 Meter) dürfte es einen fantastistischen Ausblick in die Bergwelt geben.
Über euer Feedback freue ich mich immer sehr!