El Chaltén im Los Glaciares Nationalpark in Argentinien ist ein Wanderparadies. Die Wanderungen beginnen direkt in dem kleinen Ort und führen zu spektakulären Aussichten. Über meine Touren zur Laguna Torre und zur Laguna des los Tres hatte ich schon berichtet. An meinem dritten und letzten Tag in El Chaltén nahm ich mir die Wanderung zur Loma del Pliegue Tumbado vor. Nicht ganz sicher war ich, ob ich bis zum Gipfel wandern wollte. Die letzten 200 Höhenmeter sahen auf der Karte sehr steil aus. Die Wirtin meiner Pension hatte gesagt, dass dort der Anstieg bei starkem Wind gefährlich sei. Am zweiten Aussichtspunkt, dem Mirador de la Loma, wollte ich mich entscheiden.
Gleich morgens hätte ich merken können, dass es überhaupt nicht mein Tag war. Als ich aus der Hosteria trat, sah ich dass außergewöhnlich klares Sonnenwetter herrschte. Die Bergspitzen des Mount Fitzroy schauten hinter dem Hügelkamm bei Chalten sehr fotogen hervor. Sofort schoß ich ein Foto, aber beim nächsten Schritt riß es mich von den Beinen. Ich flog regelrecht durch die Luft und stürzte auf die linke Seite. Zunächst wußte ich nicht, was passiert war, aber dann sah ich es. Die Trottoirs sind in Argentinien sehr hoch, ca. 20 bis 25 cm, und bei den Einfahrten gibt es eine entsprechend tiefe Senke. Ein solches „Loch“ hatte ich in meiner Begeisterung übersehen. Es war mir nichts passiert außer einer leichten Prellung an der Hüfte. Auch die Kamera hatte dank der aufgesetzten Sonnenblende nur eine kleine Schramme abbekommen, die man auf den Fotos aber nicht sah.
Ungerührt stand ich auf und ging weiter. Zunächst ging es ein kleines Stück an der Straße entlang und nachdem ich eine Brücke überquert hatte, befand ich mich auf dem Weg zur Loma del Pliegue Tumbado.



Auf den ersten Kilometern ging es stetig und relativ steil bergauf und in der Sonne wurde es warm. Wie meine Mitwanderer zog ich mir bald einige Klamotten aus. Sodann folgte ein Anstieg durch einen schönen Südbuchenwald. Nachdem mich einige Wanderer überholt hatten, war ich dort ganz alleine. Außer Blätterrascheln und Vogelgezwitscher war nichts zu hören. Die friedliche Stimmung genoss ich sehr. Hinter dem Wald befand sich der erste Aussichtspunkt („Mirador“) auf einem Plateau, auf dem sogar Kühe weideten. Inzwischen pfiff ein eiskalter Wind, so dass ich gleich weiterging.



Bis zum nächsten Aussichtspunkt, dem „Mirador de la Loma“, führte der Weg stetig aber nicht dramatisch bergauf. Nun durchquerte ich in eine Art Mondlandschaft mit dickeren Felsbrocken und vielen kleinen Steinen. Dort wuchsen aber immer noch zum Teil winzige Pflanzen und Moos, so dass es sich bei genauem Hinsehen nicht um eine Einöde handelte.
Am „Mirador de la Loma“ eröffneten sich mir traumhafte Perspektiven. Zum ersten Mal konnte ich neben dem Fitz Roy auch die schroffen Bergspitzen des Cerro Torre erkennen. Letzterer hüllte sich bald wieder in Wolken, während die Sicht auf den Fitz Roy wieder bis auf ein paar fotogene Wolkenfahnen frei blieb. Das Wetter in Patagonien ist berühmt berüchtigt, kann schnell umschlagen und oft sieht man die Berge überhaupt nicht. Was für ein Glück ich hatte ! Wahrscheinlich hatte ich mein Glück zu diesem Zeitpunkt fast aufgebraucht, aber dazu später …


Panoramafotos zum Vergrößern bitte anklicken.


Nun blies ein starker kalter Wind. Glücklicherweise hatten schlaue Menschen beim Mirador Steine zu einer halbrunden Mauer aufgeschichtet. Dahinter ließ ich mich nieder, um mein Lunchpaket in der Sonne sitzend zu verzehren.
Es begab sich nun, dass eine Wandergruppe an meinem Rastplatz eintraf, die von einer Führerin begleitet wurde, die Englisch und Spanisch sprach. Da bekam ich mit, dass alle Mitglieder der Gruppe bis auf eine ältere Dame den Aufstieg zum Gipfel mitmachten. Ich fragte die Führerin, ob es bei dem herrschenden Wind gefährlich sei, bis oben zu gehen. Sie verneinte dies und meinte, der Wind sei nicht allzu stark (!). Zunächst folgte ich der Gruppe, konnte aber überhaupt nicht mithalten. Der Wind hatte nachgelassen und es wurde wieder ziemlich warm. Wieder zog ich eine Lage Kleidung aus und rastete ein bisschen. Trotz der traumhaft schönen Ausblicke ärgerte ich mich, weil ich nach monatelangem Training vor der Reise so wenig fit war. Der Pfad verlief nun sehr steil (ca. 200 Hm auf einen Kilometer) auf einem festgetretenen steinigen Untergrund aber man musste gut aufpassen, um die Route zu erkennen. Schwer keuchend kam ich oben an und freute mich dann doch sehr, dass ich den Anstieg gewagt hatte. Die 360 Grad Sicht über die atemberaubende Berglandschaft, die Gletscher mit ihren Lagunen , die beiden Berge und den Lago Argentino war geradezu überirdisch schön.
Nachdem ich das Panorama ausgiebig genossen hatte, machte ich mich an den Abstieg. Dummerweise wartete ich nicht auf eine Gruppe, sondern folgte einem jungen Mann, der leichtfüßig davon eilte und dem ich nicht so schnell folgen konnte. Plötzlich stand ich auf einem sehr steilen schotterigen Hang und rutschte bei jedem Schritt. Dann sah ich, dass ich vom Pfad abgewichen war, der sich weiter unten befand. Ich hangelte mich an einer Felswand entlang, bis ich dem Weg so nah gekommen war, dass ich gefahrlos hinunter steigen konnte. Mit zitternden Knien ging ich langsam weiter. Man musste gut auf den Wegverlauf aufpassen, aber sonst war der Abstieg gefahrlos möglich.
Während der gesamten Wanderung war ich übrigens nur mit einem Wanderstock unterwegs. Den zweiten Stock hatte ich gleich bei meiner ersten Wanderung in Patagonien in Einzelteile zerlegt, als ich ihn ausziehen wollten. Auch meine Wanderschuhe hatte ich nicht an diesem Tag angezogen sondern meine niedrigeren Trekking Schuhe mit der guten Profilsohle. Zurück im Buchenwald fühlte ich mich sehr beschwingt und war richtig stolz darauf, dass ich den Auf- und Abstieg auf die Loma del Pliegue Tumbado gewagt und doch recht gut gemeistert hatte. Als ich aus dem Wald kam, begann letzte steile Abstieg. Morgens hatte ich die Steigung als recht anstrengend empfunden, aber im übrigen als harmlos. Und dann rutschte ich auf einmal weg und saß überrascht auf dem Hinterteil. Offensichtlich befanden sich unter dem sandigen Boden glatte, rutschige Felsen. Mir tat ein bisschen die rechte Poseite weh, aber sonst war nichts passiert. Danach ging ich sehr vorsichtig, trotzdem rutschte ich ein weiteres Mal aus. Wahrscheinlich war ich doch erschöpfter als ich dachte. Immerhin hatte der Anstieg 1100 Hm betragen. Beim dritten Ausrutschen blieb mein linkes Bein hängen und verdrehte sich. Nun hatte ich mir wehgetan. Fassungslos blieb ich zuerst sitzen und versuchte dann aufzustehen. Ich konnte noch gehen, was gut war, da ich noch ein gutes Stück absteigen musste, aber es grauste mir davor. Mir war zum Heulen zumute. Ich wollte nur noch nach Hause, nach München, versteht sich. Gleichzeitig wusste ich, dass ich mich zusammenreißen musste, damit nicht noch mehr passierte. Die restliche Strecke absolvierte ich im Schneckengang. Ein kleinen Felsabhang rutschte ich gleich sitzend herunter.
In El Chaltén wollte ich noch eine Kleinigkeit einkaufen, hatte aber schon große Schwierigkeiten eine Treppe hinauf und vor allem wieder hinunter zu gehen. Das Bein wurde dann trotz reichlich Voltaren in den kommenden Tagen nicht besser. Trotzdem setzte ich mein Reiseprogramm noch neun Tage lang fort. In der Ebene konnte ich langsam gehen und die Wanderungen, die ich mir vorgenommen hatte, waren ohnehin vorbei.
Fazit:
Die mittelschwere Wanderung bietet atemberaubende Perspektiven und vor allem Gelegenheit, den Cerro Torre und den Fitz Roy gleichzeitig zu sehen. Wenn ich vernünftigerweise auf den letzten Anstieg verzichtet und eine angemessene Wanderausrüstung getragen hätte, wäre mir wahrscheinlich nichts passiert. Für besser Trainierte ist die Wanderung bis zum Gipfel aber kein Problem.
18 km, 1100 Hm
PS: Auf dieser Reise habe ich keinen Arzt konsultiert. Zu sehr fürchtete ich mich davor, dass mir geraten würde, die Tour abzubrechen. Zu Hause suchte ich gleich den Orthopäden auf. Dieser stellte einen Wadenbeinbruch fest und riet zur weitgehenden Schonung. Ich hatte noch Glück gehabt. Nach einem Schienbeinbruch hätte ich nicht mehr laufen können!