Manchmal rede ich mit mir selbst. Auf meinen Reisen, wenn ich keine Ansprechpartner habe, gerne auch laut. Oder ich spreche mit Hunden, Katzen und Kühen am Wegesrand. Natürlich nur, wenn ich meine, dass mich niemand hört. Zu Hause im Alltag führe ich stille Zwiegespräche.
Es ist dann so, als ob meine Persönlichkeit gespalten wäre. Inga I ist vernünftig, geduldig und meint, dass wir Corona durch angemessene Maßnahmen bekämpfen müssen. Außerdem erkennt sie, dass es ihr in der Pandemie relativ gut geht. Gesund zu bleiben und keine finanzielle Not zu leiden, sind schließlich am Wichtigsten.
Inga II jammert oft und zwar ausgiebig:
Meine Tochter habe ich seit einem Jahr nicht mehr in den Arm genommen. Bin in Rente und kann die Vorteile nicht genießen. Dass ich eineinhalb Jahre früher in Rente gegangen bin, um mehr Zeit für meine Hobbies zu haben, hat mir nicht viel geholfen. Kann nicht ins Ausland reisen wegen Corona. Gesundheitlich bin ich auch eingeschränkt. Die Sehenswürdigkeiten sind geschlossen, die Zoos und die Botanischen Gärten auch. Shoppen ist nicht so mein Ding, aber meine Lieblingscafés in der Stadt möchte ich mal wieder besuchen. Wie langte dauert das Ganze noch? Es reicht !
usw., usw.
Inga I: Aber wir dürfen immerhin im Freien spazieren gehen.
Inga II: In „unserem“ Wald begegne ich sehr, sehr vielen Spaziergängern, Radfahrern und heftig keuchenden Joggern. Die meisten halten den Mindestabstand nicht ein, so dass ich oft ausweichen muss und dann im Gebüsch stehe. Das hat sich seit Beginn der Pandemie kaum verändert (siehe auch hier). Auf Spaziergängen kann ich mich selten entspannen. Corona ist immer präsent.
Inga I: Klage doch nicht immer! Du bist in Rente und hast viel Zeit. Du lebst in München. Es gibt viele schöne Ausflugsziele. Es ist nicht weit in die Berge. Du kannst dir einen Tag mit gutem Wetter aussuchen und dann gehst du Wandern!
Mittwoch letzter Woche war es soweit, bei strahlendem Sonnenschein und milden Temperaturen begab ich mich nach Murnau am Staffelsee , das in der Nähe von Garmisch liegt. Zum Einstieg in meine Wandersaison hatte ich mir den rund sechs Kilometer langen „Drachenstichrundweg“ mit geringen Höhendifferenzen ausgesucht.
Vom Bahnhof Murnau lief ich zunächst zum bestens ausgeschilderten Münter-Haus. Nachdem die Malerin Gabriele Münter das Haus an der Kottmüllerallee in Murnau 1909 erworben hatte, hielten sie und Wassily Kandinsky sich oft in diesem Haus, im Volksmund auch als „Russenhaus“ bezeichnet, auf.
Die Murnauer Landschaft, insbesondere das Haus selbst, der Garten und die unmittelbare Umgebung, wurde für Münter und Kandinsky zu einer wichtigen Inspirationsquelle. Oft malten sie den Blick aus dem Fenster zur Kirche und zum Schloß sowie zur Bergkette. Das Münter-Haus spielte auch eine ausschlaggebende Rolle in der Geschichte des „Blauen Reiter“. Es wurde zu einem bedeutenden Treffpunkt der Avantgarde. Das Haus ist mit Gemälden, Graphiken und Hinterglasbildern von Kandinsky und Münter sowie mit Beispielen der Volkskunst, die sie sammelten, und mit ihren selbst bemalten Möbeln ausgestattet und kann besichtigt werden (derzeit leider geschlossen).
Quelle: http://www.muenter-stiftung.de/de/das-munter-haus-2/
Weiter ging es durch die historische Kottmüller-Allee, einen Fußweg mit 140 Eichen. Gleich am Anfang der Allee legte ich einen kurzen Abstecher zur Lourdes Grotte ein, die einige hundert Meter weiter, etwas versteckt aber gut ausgeschildert, in einer Schlucht unterhalb der Baumallee liegt.




Zurück auf der Eichenallee, auf der nur wenige Spaziergänger unterwegs waren, gelangte ich alsbald auf einen Höhenrücken. Von einem Aussichtspavillon sollte man eigentlich einen traumhaften Blick auf das Murnauer Moos, eine ausgedehnte Moorlandschaft, und die dahinterliegende Bergkette genießen können. Sogar die Zugspitze, unser höchster Berg, sollte zu sehen sein. Trotz des guten Wetters war die Sicht aber wegen des Saharastaubs und des Gegenlichts äußerst diesig. Die Umgebung von Murnau wird wegen ihrer Bedeutung für den „Blauen Reiter“ das „Blaue Land“ genannt. Nun sah es eher nach einem „Gelben Land“ aus.
Inga II: So ein Mist! Von Dachau aus, habe ich letzte Woche die mehr als 100 km entfernten Berge viel klarer gesehen. Das wird schwierig mit dem Fotografieren.
Inga I: Ist das schön, was für ein zauberhafter Ausblick! Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, kann man die Silhouetten der Berge erkennen. Die Fotos kann ich mit HDR und Bracket aufnehmen und noch nachbearbeiten.
Kurz darauf zweigte ein Weg zum „Ähndl“ ab, dem Georgskirchl aus dem 8. Jahrhundert, das als die älteste Kirche im Staffelseegebiet bezeichnet wird. Die Kirche und die daneben liegende Wirtschaft waren leider geschlossen.
Inga II: Warum ist diese Kirche geschlossen ? Und das Foto wäre mit einem Berg im Hintergrund viel schöner.
Inga I: Schöne alte Kirche und der Biergarten sieht toll aus. War klar, dass der nicht geöffnet hat. Im Inneren der Kirche sind wertvolle Gegenstände. Sie ist deswegen wahrscheinlich nur am Wochenende offen, wenn auch das Wirtshaus mit Speisen zum Mitnehmen geöffnet ist.
Von der Kirche sah ich, dass auf dem darunterliegenden Parkplatz viele Autos standen. Die meisten Wanderer waren wohl auf dem 12 km langen Rundweg durch das Murnauer Moos unterwegs. Das wäre sicher eine schöne Tour, die ich aber nur bei guter Sicht auf die Bergkette unternehmen würde.

Zurück auf dem Rundweg kam ich bald an den Drachenstich, eine idyllische Schlucht mit einem kleinen Wasserfall. Dann ging es über steile Stufen hinauf auf einen weiteren Höhenrücken. Wieder einmal fiel mir auf, dass meine Fitness stark ausbaufähig war. Nach kurzer Zeit blieb ich stehen, um die Wanderer hinter mir vorbei zu lassen. Während ich den Blick von oben auf den Wasserfall genoss, stellten sich die Beiden direkt neben mich. In gewohnter Manier wich ich zurück und sagte in freundlichem Ton. „Jetzt bin ich Ihnen doch gerade ausgewichen!“ „Oh, Entschuldigung!“, antworteten sie. Wir kamen dann ins Gespräch. Die Leute, die auf Mitte 40 schätzte, erzählten mir, dass sie zwar vorsichtig seien, manchmal aber doch zu unbesorgt, weil sie beiden schon an Corona erkrankt waren. Die Frau hatte nur vorübergehend den Geschmacksinn verloren, während sich der Mann mit Fieber und Schüttelfrost drei Tage lang ziemlich schlecht gefühlt hatte.
Inga I: Wie schön, so wäre Corona kein Problem!
Inga II: Mich würde es bestimmt heftiger treffen!
Nach Überquerung einer Straße ging ich durch einen schönen Wald mit ersten Frühlingsblüten hinunter zum Staffelsee.
Als ich den Staffelsee erreichte, staunte ich nicht schlecht. Das Gewässer war größtenteils mit Eis bedeckt, obwohl es schon seit Tagen frühlingshaft warm war. Am Strandbad Murnau stand ein geöffneter Kiosk, der allerlei Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbot. Ich entschied mich für Cappuccino und Käsekuchen und ließ mich damit auf der Wiese nieder. Viele, aber nicht zu viele Menschen genossen dort den Blick über den See bei angenehmer Frühlingssonne.
Inga I und II: Bin begeistert!
Anschließend ging ich hinauf in die Altstadt, wobei ich wieder ziemlich ins Schnaufen kam. Offensichtlich reichte es nicht, täglich spazieren zu gehen. Ich musste mehr tun. Einige vom Lockdown betroffene Einzelhandelsgeschäfte hatten zum Zeichen des Protestes ihre Schaufenster verkleidet und kündeten eine Klagewelle gegen die Corona Maßnahmen der Regierung an.
Die Murnauer Altstadt kannte ich von einem Besuch vor einigen Jahren. Im Hochsommer hatte ich in einem Café in der Fußgängerzone gesessen und es viel zu heiß gefunden. Wie gut es mir damals ging!
Nun schlenderte ich an den schönen bunt bemalten Häusern mit historischen Hinweisschildern vorbei und freute mich, dass doch einige Passanten auf Bänken saßen, mit Einkaufstüten oder einem Speiseeis vorbei gingen. Es herrschte eine ganze andere Stimmung als in Dachau, wo nur wenige Menschen mit der obligatorischen Maske vorbeieilten.
Inga II: Schon schön, aber wenn man die Berge im Hintergrund sehen könnte, wäre es noch schöner. Und ein Eis würde ich jetzt gerne essen, bin aber noch satt vom Käsekuchen.
Inga I: Aber es ist nicht überlaufen und die Altstadt ist wirklich malerisch.
Dank einer sehr guten Ausschilderung fand ich ohne weiteres zum Bahnhof zurück.
Fazit:
Schöne und sehr abwechselungsreiche Kurzwanderung (6,1 km, mit Abzweigungen zur Lourdes Grotte und zum Georgskirchl ca. 8 km, 110 Höhenmeter, gut 2 Stunden, 3 Stunden mit Pausen). Die Murnauer Altstadt ist sehr sehenswert. Wer sich für den „Blauen Reiter“ interessiert, sollte das Münter Haus und das Schlossmuseum Murnau besuchen, wenn die Museen wieder geöffnet sind.
Inga I: Sehr schöner Ausflug! Das hat mir gut getan.
Inga II: Stimmt, aber beim nächsten Mal will ich die Berge sehen!
PS: Inga I setzt sich meistens durch.
Über euer Feedback freue ich mich immer sehr.